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Kulturwissenschaftliche Fakultät

Religionswissenschaft

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Nachwuchsforschergruppe "Islamische Gegenwartskulturen" an der Universität Bayreuth

Die Nachwuchsforschergruppe legte ihren Schwerpunkt in der ersten Förderphase (2014-2017), unter Leitung von PD Dr. Robert Langer, auf die Erforschung schiitischer Religiosität in Deutschland. Auf der Grundlage einer Bestandsaufnahme schiitische Akteure, Organisationen und ‚Ritualgemeinschaften‘ wurde untersucht und danach gefragt, in welchem Maße und mit welcher Spezifik schiitische Diskurse und Praktiken in Deutschland nachzuweisen sind. Dabei waren und sind wir insbesondere an der internen Diversität einerseits wie auch nach der Einbindung dieser Gruppen in transnationale Netzwerke zwischen anderen europäischen Diasporagemeinden sowie Herkunftsländern andererseits interessiert. Von besonderer Relevanz war darüber hinaus, welche Rolle ‚Schiitentum‘ und schiitische Identitätskonstruktionen im ‚gesamtislamischen‘ deutschen Feld sowie auch im Rahmen der staatlichen Institutionalisierung von ‚Islam‘ in Deutschland spielten. Ein wichtiger Aspekt schiitischer Religiosität in Deutschland ist dabei das dynamische Verhältnis spezifisch schiitischer Artikulationsformen und Praktiken auf der einen Seite, und die Verortung als Muslime im gesamtislamischen Feld auf der anderen Seite – eine Dynamik, die im europäischen, wie auch globalen Vergleich in hohem Maße schiitische Diasporagemeinden durchdringt. Dieser Befund hat auch nötig gemacht, die Prozesse und Artikulationen von Einheit und Pluralität im islamischen Feld in den Forschungsfokus zu rücken. Befunde zu gemeinsamer Ritualpraxis, geteilten semiotischen Repertoires und historischer Narrativen beispielsweise schiitischer und alevitischer Gruppen zwangen dazu, häufig als zu statisch gedachte Übergänge zwischen Religionstraditionen (als Konfessionen gedacht) in Frage zu stellen.

In engem Austausch mit internationalen Kooperationen konnte die Forschung zu Schiiten in Deutschland so an internationale Forschungskontexte, wie auch an globale Fragen religiöser Identitätskonstruktion in Minderheitenkontexten angeschlossen werden. Die zunächst notwendige Bestandsaufnahme schiitischer Akteure in Deutschland hat dabei auch schnell gezeigt, dass diese schiitischen Gemeinschaften zum einen stark in transnationale Netzwerke eingebunden sind, die auch den regelmäßigen Verkehr von religiösen Spezialisten aus der Türkei, Aserbaidschan oder Iran zu festlichen Anlässen, wie z.B. Ghadir Khumm, nach Deutschland sicherstellen. Aus diesem Grund wird nun unter anderem beabsichtigt, die Forschungsperspektive für die zweite Förderperiode (2017-2022) zum einen auf diese transnationalen Netzwerke sowie zum anderen auf die jüngere Geschichte dieser Schiiten als Teil der türkischen Religionsgeschichte auszuweiten. Schwerpunkt liegt dabei auf der schiitischen Gemeinschaft der Türkei, der Caferiye, die vor allem aus ethnischen Azeris wie auch aus ‚konvertierten‘ Sunniten besteht. Ein Teilprojekt (Weineck) der Nachwuchsgruppe untersucht in vergleichend-lokalhistorischer Perspektive Kontinuitäten und Brüche spätosmanischer und türkischer Religionsgeschichte, mit Blick auf alevitische und schiitische Regionen (Amasya / Sivas / Dersim sowie Iğdır) und die Integration dieser Regionen und Bevölkerungsteile in den neu konstituierten Nationalstaat. Auf der anderen Seite wird in diesem Teilprojekt unter Einbezug von oral history data auch danach gefragt, wie im Wandel begriffene Konzepte von kollektiver Zugehörigkeit (türkisch/sunnitisch) lokal aufgenommen, anverwandelt, oder aber zurückgewiesen wurden – haben sich die untersuchten Regionen im Hinblick auf die religiöse Identität ihrer Bewohner doch bis heute größtenteils der Homogenisierungsleistung des türkisch-sunnitischen Nationalstaates widersetzt.

Durch die Neubesetzung zweier Doktoranden in der Gruppe, die zu persisch-sprachigem Christentum und zu gegenwärtigen Bektaşi-Gemeinschaften forschen, hat sich der generelle Fokus der Nachwuchsgruppe auf das komplexe Wirkungsgefüge von Islamizität, „sectarianism“ und Nationalstaatlichkeit in der Türkei, in Iran und im transnationalen Raum hin verschoben.

Die Nachwuchsgruppe arbeitet mit der Nachwuchsgruppe Norm, Normativität, Normwandel (Leitung Abbas Poya) and der FAU Erlangen / Nürnberg (Department für islamisch-religiöse Studien) eng zusammen. Dabei wurde in den letzten Jahren eine Reihe von Querschnittsthemen erarbeitet, die die jeweiligen individuellen Forschungsarbeiten in den Nachwuchsgruppen befruchten und die von religionswissenschaftlichen, wie auch islamisch-theologischen Ansätzen beforscht werden können. Zu diesen Querschnittsthemen gehören etwa „islamische Lehr- und Lernkulturen in Geschichte und Gegenwart“ (gemeinsamer Workshop 2016) sowie Fragen nach dem „Verhältnis von Einheit und Pluralität im islamischen Feld“ auf der anderen Seite (gemeinsamer Workshop 2018). Auch angesichts der Tatsache, dass sich islam-bezogene Forschung erst seit jüngerer Zeit mit Pluralität und Ambiguität innerhalb islamischer Religionstraditionen auseinandersetzt und in außerwissenschaftliche Diskursen wenig sichtbar ist, haben beide Arbeitsbereiche zum Ziel, theologische sowie auch islam- und religionswissenschaftliche Perspektiven auf Pluralität im islamischen Feld zu eröffnen und diese weiter zu entwickeln.

Leiter der Nachwuchsforschergruppe: Dr. Benjamin Weineck
Wissenschaftliche Mitarbeiter: Hanni Bezem, M.A., Benedikt Römer, M.A.
Assoziierter Wissenschaftler: Dr. Christian Funke


Verantwortlich für die Redaktion: Miriam Bittermann

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